Zurale Phenja – Starke Schwestern
2018-2021
Von 2018-2021 setzten wir das Projekt Zurale Phenja- Starke Schwestern für Romnija-Mädchen und ihre Freundinnen in Wedding und Moabit. Schwerpunkt waren Gruppenangebote im Mädchenladen am Utrechter Platz, individuelle Beratung und Begleitung von Mädchen in ihren Familien sowie die Unterstützung der Familien in den besonderen Notlagen während der Corona-Pandemie.
Aus unserem Ansatz der Unterstützung von Mädchen und jungen Frauen entwickelte sich ein integrierter Ansatz zur Stärkung und Integration der Familien: Einbeziehung der Arbeit mit den Jungen, muttersprachliches Angebot in Romanes an der Gottfried-Röhl-Grundschule zur Identitätsbildung, ein Sprachcafé zur niedrigschwelligen Vermittlung der deutschen Sprache insbesondere an Mütter mit Kindern im Kitaalter und Verschränkung mit der Vermittlung von Grundkenntnissen in Romanes an Interessierte und Projektpartner. Für diese Komponenten suchen wir derzeit finanzielle Ressourcen nach dem Projektende im EFRE Fonds.
Abschlussbericht & Einordnung der weiteren Bedarfe von Roma-Mädchen im Wedding
Die Familien in einem isolierten Wohnblock im Wedding
Etwa 300 Menschen bewohnen den etwas isoliert gelegenen Wohnblock Nähe Nauener Platz, die Hälfte davon Roma aus Rumänien. Die 20 Familien gehören alle zur Volksgruppe der Ursari, kommen aus Fantanele, Rumänien und sind Mitglieder einer Pfingstkirche mit strengen Regeln und Normen. Es gibt kaum Verbindungen zu den anderen Bewohnern im Haus noch zur sie umgebenden Welt. Über Verwandtschaft und gemeinsame Gottesdienste bestehen Beziehungen zu weiteren rumänischen Familien in Reinickendorf, Spandau und Neukölln. Die Familien leben mit 5-8 Kindern im Alter bis zu 16 Jahren in winzigen 2 Zimmer-Wohnungen, Der Bildungsstand der Familien ist gering, viele der Eltern Analphabeten, nur wenige Familienmitglieder sprechen Deutsch. Alle Familien leben von Transferleistungen, manche Väter haben geringfügige, prekäre Arbeit auf dem Bau oder in der Reinigung, die Mütter sind beschäftigt mit der Hausarbeit, der Versorgung der großen Familien. Wie wir bemerkten, richtet sich die Sorge vor allem auf die jüngsten Geschwister. Die Bedürfnisse der Schulkinder werden oft kaum wahrgenommen: die Kinder bleiben zurück, bleiben mit ihren Sorgen allein, leiden an Depressionen. Die Familien sind über ihre kulturelle Zugehörigkeit und ihre religiöse Gemeinschaft verbunden, haben jedoch sonst untereinander wenig Kontakt. Die Pandemie und die Isolation verschärfte Konflikte innerhalb der Gruppe der Roma-Familien und zerstörte die wenigen Verbindungen der Kinder zu Kindern außerhalb ihrer Kultur und ihrer Familien.
Die Hauptprobleme der Familien sind:
- Zu kleiner Wohnraum für zu große Familien
- Prekäre Arbeitssituationen, Abhängigkeit von Transferleistungen
- Mangelnde Deutschkenntnisse
- Kündigungsdruck der Hausverwaltung aufgrund zu großer Familien auf engstem Raum.
- Unklare Mietverträge, Kautionen etc.
- Fehlende Dokumente aus Rumänien: Geburts-, Heiratsurkunden, Krankenversicherungen.
- Mangel an Kitaplätzen
- Mangel an Spielplätzen für die Kinder, massive Beschwerden von Nachbarn über die
spielenden Kinder auf dem Gehsteig vor dem Haus. Daraus Konflikte mit dem
Sicherheitsdienst des Hauses, der Hausverwaltung gar der Polizei - Nach der Schule kein Kontakt der Kinder zu Kindern außerhalb ihres Kulturkreises, auch in der Schule nur eingeschränkt
- Aufgrund der Bildungsferne und sprachlichen Probleme kaum Kommunikation zwischen Eltern und Schulen
- Hohe Corona-Infektionsquoten aufgrund des engen Zusammenlebens und mangelnder Hygieneinformationen
- Weit verbreitete Corona- und Impfskepsis
Die besondere Situation von Roma-Mädchen
Die Ansprache von Mädchen war ein fortlaufender Prozess. Die Einladung an Mädchen am Projekt teilzunehmen erfolgte über den Besuch in Grund- und Oberschulen, über die Mütter in der Sozialberatung, über den Besuch in Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen im Umfeld. Wir erreichten Mädchen aus Rumänien, Serbien, Bosnien, Mazedonien und Polen. Allein in einem Wohnblock in Nähe des Nauener Platzes erreichten wir 30 Mädchen im Alter zwischen 8 und 15 Jahren. Obwohl wir zu Beginn planten, zwei Gruppen mit jüngeren und älteren Mädchen einzurichten, zeigte sich, dass die Situation für ältere Mädchen weitaus komplexer ist und die Mädchen kaum noch zu erreichen.
Zur Situation der älteren Mädchen
- In traditionellen Familien sind Romamädchen ab 15 Jahren im Heiratsalter, Schulbesuch und Aktivitäten außer Haus mit der möglichen Begegnung mit Jungs werden aus kulturellen Gründen untersagt, um dem guten Ruf nicht zu schaden.
- Manche älteren Mädchen sind schon verheiratet und haben Kinder
- Die Mädchen sind eingebunden in die familiären Aufgaben im Haus: Sorge für ihre jüngeren Geschwister, Kochen, Putzen. Sie müssen ihre Eltern vor Ämtern, Ärzten etc unterstützen, weil sie zumindest deutsch sprechen
Dies führt zumeist zum Abbruch der Schule nach der 10 Klasse, von weiteren Qualifizierungsmaßnahmen, eine Berufsausbildung wird nicht angestrebt. Beziehungen zu anderen Mädchen, Freizeitaktivitäten Um nicht in dieselbe marginalisierte Situation wie ihre Eltern zu kommen und Zukunftschancen zu ermöglichen, wäre eine sehr frühzeitige Begleitung in enger Kooperation mit den Eltern, vor allem mit den Müttern nötig.
Zur Situation der jüngeren Mädchen
Als Kinder erhalten sie mehr Freiheiten, die Familien erlauben Freizeitaktivitäten, sind froh, wenn vertraute Personen sich um ihre Töchter kümmern, oft werden auch die jüngeren Geschwister beteiligt. Die Projektmitarbeiterinnen waren oft die einzigen Verbindungen außerhalb ihrer engen Familien und Glaubensbeziehungen.
Ein schwieriges Unterfangen war der Weg aus dem Wohnblock zum Mädchenraum am Utrechter Platz. Die Mädchen mussten abgeholt werden, der Weg über zwei Hauptverkehrsstraßen mit der Gruppe und ihren jüngeren Geschwistern war jeweils eine Herausforderung. Die kurzfristige Möglichkeit, Räume im leerstehenden Pflegeheim des jüdischen Krankenhauses in unmittelbarer Nähe zu nutzen zerschlug sich, da das Haus abgerissen werden soll. Ebenfalls nicht realisiert wurden die vom Bezirksamt versprochenen Container, um eine Mädchen- und Familienarbeit auf dem Gelände doch zu ermöglichen.
Eine gemischte Mädchengruppe
Es zeigte sich im Projektverlauf, dass eine geschlossene Gruppe von Romamädchen den Projektzielen von Integration und Begegnung nicht förderlich ist. Mädchen aus dem Umfeld vom Utrechter Platz mit arabischem, türkischem, bosnischem, deutschem Familienhintergrund wurden mit einbezogen um vor Ort einen Raum der interkulturellen Begegnung, des Vertrauens, der Entwicklung von sozialen, emotionalen und kreativen Fähigkeiten, der Zukunftsplanung zu schaffen. Für Romamädchen und ihre Freundinnen.
Unsere Leitlinien bei allen Projektaktivitäten waren:
- Das Projekt offenzuhalten und gemeinsam mit den Mädchen und nach ihren unmittelbaren Bedürfnissen zu gestalten
- Die Mädchen individuell zu beraten und zu unterstützen
- Die Eltern vor allem die Mütter mit einzubeziehen und gegenseitiges Vertrauen zu schaffen
- Einen Ort des Austauschs mit Kooperationspartnern aus Schulen und Jugendfreizeiteinrichtungen zu schaffen
- Organisation von Festen und öffentlichen Ereignissen zur Begegnung mit der Nachbarschaft
Ab Mitte März 2020 mussten wir die Aktivitäten die Pandemiesituation und die Abstandsregeln anpassen. Hielten jedoch über soziale Medien, Telefon, Kontakt zu allen Mädchen und ihren Familien.
Im Zuge des Projekts erreichten wir folgende Resultate:
Der Mädchenraum
Ein familiärer Raum entwickelt von Mädchen für Mädchen in dem regelmäßig (1-2x wöchentlich) Gruppenangebote stattfanden:
- Kreative Projekte: nähen, basteln, malen, fotografieren
- Ausstellung von Bildern, Installationen und Fotos in den Schaufenstern im Raum und auf dem Utrechter Platz
- Kochen und gemeinsam essen
- Spielen und Filme schauen
- Unterstützung bei den Hausaufgaben
Die persönliche Entwicklung der Mädchen in der Gruppe und individuell durch Diskussionen und Gruppengespräche zu ihren Themen. Erkundung des Lebensraums durch gemeinsame Spaziergänge in Parks und auf Spielplätze, Erweiterung des kulturellen Horizonts durch Besuche in Museen, Veranstaltungen, Kino.
Das Projekt unter Pandemiebedingungen
Der Lockdown ab März 2020 und vor allem die bis zu einmonatiger Quarantäne von 13 Familien traf die Kinder aus dem Wohnblock besonders hart.
In der Quarantäne: Aufklärung der Familien über das Virus und notwendige Verhaltens- und Hygienemaßnahmen. Brücke und Sprachmittlung zum Gesundheitsamt, Sozialamt, Integrationsbüro. Ermittlung der unmittelbaren Bedarfe und Unterstützung durch Lebensmittel- und Spielsachenspenden. Täglicher Kontakt zu Eltern und Kindern um die emotionalen Folgen, Ängste abzufedern.
Im Lockdown: Intensivierung des Kontakts zu den Schulen: Erika-Mann-GS, Willy Brandt OS vor allem aber Gottfried- Röhl-Grundschule. Gewährleistung des Kontakts zwischen Schulsozialarbeitern, LehrerInnen und Eltern die sonst oft schwer zu erreichen waren. Übermittlung von Lernmaterial für den Unterricht zu Hause. Individuelle Unterstützung bei den Hausaufgaben über soziale Medien und Telefon. Organisation von Laptops etc. Aufrechterhaltung von Gruppenaktivitäten über Facebook, Whatsapp Tanzen, Geschichtenerzählen, Austausch über ihre Themen.